Neuland. Alles ist neu. Schärfe, Blende, exakte Wiedergabe,- alles tritt in den Hintergrund. Und das soll noch Fotografie sein? Die Frage steht den Teilnehmern und Teilnehmerinnen in´s Gesicht geschrieben. Ja, die Idee ist spannend. Aber wie geht das alles?
Sicher, der Zufall spielt mit, wenn man nicht nur mit dem Licht malt, sondern auch noch mit der Kamera. Es ist nicht alles planbar, die Regeln sind außer Kraft gesetzt.
Aber genau das reizt, einen Blick zu bekommen in und für eine ganz neue Art der Fotografie: dem Impressionismus. Diese Stilart war einst schon in der Malerei auf Hohn und Spot getroffen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Monets erstes impressionistisches Bild „Sonnenaufgang“ wurde verlacht und mit Häme überhäuft. Es war den klassischen Atelier-Portrait-Malern einfach zu weit entfernt vom Tatsächlichen, vom Gegenständlichen.
Doch mit der Zeit wurden die Werke der Impressionismus-Pioniere entschlüsselt und verstanden. Nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl und den Sinnen, für die sie auch gedacht waren.
Auch Fotografen wagten sich an diesen emotionalen Aufbruch und Ausdruck der visuellen Kunst. Es war ein zäher Beginn, und fand in Zeiten der beiden großen Kriege ein frühes Ende.
Kreativität ohne Grenzen
Doch die Zeit ist längst überfällig, sich diesem Metier zuzuwenden. Vor allem die um die Jahrtausendwende erwachte digitale Fotografie mit ihren unzähligen technischen Möglichkeiten ist die ideale Grundlage für sinnliche und intuitive Lichtbildnerei. Moderne Kameras, Objektive in großer Auswahl und vor allem die variable Bildbearbeitung setzen der Kreativität keine Grenzen.
Es mag ein großes Wort sein, aber: Die Zeit der experimentellen Fotografie ist angebrochen bis hin in das Abstrakte. Unsere Sehgewohnheiten sind verkrustet und uniform auf Vorgaben ausgerichtet. Regeln regieren. So darf es gern bleiben. Als Gegenpol jedoch sollten Experimente einen festen Platz haben, um nicht nur fotografisch Informationen zu liefern, sondern auch Gefühle zuzulassen.
Grundlagen lernen
Um das Neuland einigermaßen sicheren Schrittes zu betreten, müssen erst einmal einige Grundlagen vermittelt werden, um sich auf dem neuen Terrain zurecht zu finden. Das machen die beiden Referenten in Form von Beispiel-Bildern und handwerklichen Hinweisen. Denn es ist nicht so, dass man einfach ein wenig mit der Kamera herumfuchtelt, und dann wie beim Öffnen eines Überraschungseis freudig Kunstwerke entdeckt.
Hier geht es nicht um Schärfe, Schärfentiefe, Goldenen Schnitt, exakten Bildaufbau und andere Gesetze der klassischen Fotografie. Es geht um die Vermittlung eines momentanen Eindrucks mit Hilfe der richtigen Belichtungszeit. Rein handwerklich gesehen. Der Rest ist Intuition und lernen, welche Zeiten man für welche Bewegungen des Motive benötigt. Im Grunde also: Erste Sicherheit gewinnen in einem neuen Milieu.
Dazu kommen die Anwendungen verschiedener Techniken, wie Ziehen der Kamera, Wischen, Drehen und andere konventionelle und unkoordinierte Bewegungen. Weiter geht es zu erfahren, was mit der Manipulation des Objektives möglich ist. Und am Ende steht natürlich die Bildbearbeitung, die uns zu Zeiten der digitalen Fotografie in die unendlichen Weiten der kreativen Gestaltung führt. Gefühle vermitteln mit Technik. Ein Widerspruch einerseits, eine großartige Hilfe andrerseits.
Einfach ´mal loslassen
Die ersten Motive warten direkt vor der Tür unseres zentral in Zürich gelegenen Workshop-Raumes beim Hotel „Kindli“. Der Lindenhof bietet im durchdringenden Licht ideale Bedingungen. Das durch die Bäume blinzelnde Licht lässt die Blätter in leichten Grüntönen leuchten, spiegelt sich im Brunnen, um den Menschen sich der wohligen Wärme erfreuen. Monet hätte seine Freude…
Holperig geht´s los. Da sind immer wieder die alten Regeln im Wege. Nun soll man auf einmal unscharf fotografieren. Was dabei wohl heraus kommt?
Für die Referenten heißt es Mut machen und Zuversicht schaffen. Einfach ´mal los lassen von überkommenen Gesetzen. Anarchisch fotografieren sozusagen.
Bei der anschließenden Bildbearbeitung sind die ersten staunenden Töne zu hören. Es ist noch nicht vieles gelungen, aber die Richtung stimmt, der Glaube an das Neue wächst.
Am Abend dann finden wir in der Goldenen Stunde wunderschöne Motive an der Limmat mit Hintergrund Altstadt. Reflexe im Wasser, Doppelbelichtungen und Objektivbewegungen sind angesagt. Vor lauter Begeisterung vergessen wir fast unsere Mägen, die aber zwischendurch doch zu ihrem Recht kommen.
Am nächsten Morgen geht´s weiter am Bahnhof. Ganz andere Kulisse, völlig unterschiedliche Lichtverhältnisse, neues Ambiente. Doch wir wissen ja: Alles ist Motiv.
Begeisternde Ergebnisse
Die Zeit vergeht wie im Fluge, und nach einem abschließenden Spaziergang durch Nieder- und Oberdorf endet der fotografische Teil des Workshops.
Was dann bei der Bildbearbeitung in unserem Workshop-Raum das Licht des Tages erblickt, verschlägt manchem die Sprache. „Das hätte ich nie erwartet“, „das ist ja unglaublich“ bis hin zu „Ich glaube, ich fotografiere künftig nur noch so“ sind die begeisterten Kommentare.
In der Tat, es sind großartige Bilder entstanden bis hin zu wahren Meisterwerken. Die Stimmung ist entsprechend gut und wir mögen kaum auseinandergehen nach diesem schönen gemeinschaftlichem Erlebnis.
Impressionistisch und experimentell zu fotografieren, führt nicht nur zu einer neuen Vermittlung des Gesehenen, das emotional übermittelt wird. Der mutige und neu erlernte Umgang mit Kamera, Objektiv und der Bildbearbeitung wirkt sich auch auf die Herangehensweise in der klassischen Fotografie aus. Denn an diesen beiden Tagen haben die Teilnehmer/innen einen leichten, unkonventionellen Umgang mit Ausrüstung und Metier erfahren. Und die Gegenüberstellung von einem Traumbild zu einer konventionellen Aufnahme rückt auch letztere wieder in ein besseres Licht.
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